13 November 2006

Montag

In dieser Stadt hier kann man eigentlich alles finden, wenn man nur intensiv genug danach sucht. Ob legal oder illegal spielt in diesem Dreckloch nahezu keine Rolle. Wenn man in die Arling Avenue einbiegt, findet man meine Kneipe. Zwölf Stunden am Tag geöffnet. Es ist nicht die größte Kneipe, aber mein Verdienst reicht zum Überleben. Was kostet mich auch schon mein Leben? Ich habe weder Frau noch Kinder.

Momentan befinde ich mich in der elften Stunde meiner Schicht und es sind nur noch wenige Gäste da. Direkt an der Theke hockt ein einzelner Mann. Er sieht ziemlich abgewrackt aus, weshalb ich jeden Drink den er bestellt gleich abrechne, aber er konnte bisher immer zahlen und soweit ich das sehen konnte hatte er noch mehr als genug Scheine dabei. Sein mit Bartstoppeln übersätes Gesicht hat er auf eine seiner dürren Hände gestützt und eine halb gerauchte Zigarette hängt lose in seinem Mundwinkel. Gedankenverloren starrt er vor sich hin. Schließlich kippt er seinen Gin in sich hinein.

„Noch Einen...“, bestellt er.

Ich nehme das leere Glas und befülle es erneut. Mit leicht zitternder Hand reicht er mir einen Geldschein hin.

„Passt so.“, brummt er.

„Danke.“

Ich stecke den Fünfer in die Kasse. Der Drink hätte normalerweise nur die Hälfte gekostet, aber Trinkgeld nehme ich gerne entgegen – wer würde das nicht?

„Wissen sie...“, beginnt der Mann und nippt kurz an seinem Glas, „Ich habe bei diesem großen Rüstungskonzern gearbeitet... Nation-Arms.“

Innerlich seufze ich. Es kommt des öfteren vor das sich Leute beim Barkeeper „ausheulen“, dieses Klischee kennt man ja aus dem Fernsehen... und es ist genau so! Ich habe schon sehr viele Geschichten gehört und manchmal hört man sogar Sachen, die man womöglich gar nicht hören sollte. Zumindest wie jemand seine Frau in Wut erschlagen hat... oder wie jemand einem Drogenboss ans Bein gepinkelt hat. Und obwohl ich mir diese Sachen anhöre, reagiere ich nicht darauf. Es sind nicht meine Probleme und es gibt die Polizei in dieser Stadt nicht, damit ich als Hilfssheriff die Leute richte. Ich besitze einen großkalibrigen Revolver welchen ich immer am hinteren Teil meines Hosenbundes trage. Die Waffe ist gemeldet und ich habe einen Schein für sie. In den zwanzig Jahren in denen ich meine Kneipe habe musste ich sie nur selten abfeuern, aber in eben jenen Situationen hat sie mir das Leben gerettet. Ich sorge dafür das mein Revier sauber bleibt, nicht für mehr, nicht für weniger.

„Ich habe an so einem Projekt mitgearbeitet... ich hatte zuerst gar keine Ahnung was wir da eigentlich gemacht haben. Ich war noch n Frischling, gerade aus der Ausbildung und aus dem Studium. Physik und Chemie...“ Er lacht leise. „Es ging um einen neuen Waffentyp... so eine Art Laser. Das war zuerst alles nur Theorie und Simulation am Computer.“

Mit einer Bewegung kippt er den Gin weg und mit einer Handbewegung bedeutet er mir, dass er noch Einen möchte. Ich tue wie mir geheißen und wieder zahlt er mit einem Fünfer.

„Dann führte man uns irgendwann in einen Testraum und dort stand tatsächlich dieses... riesige... unglaublich beeindruckende... Ding!“ Mit seinen Händen holt er nach links und rechts aus um die Größe zu verdeutlichen. „Natürlich wussten wir das es sich dabei um die Waffe handelte, an der wir die ganze Zeit gearbeitet hatten. Sie war einfach auf unseren Plänen, Simulationen und Theorien gebaut worden, ohne das man uns etwas gesagt hatte. Wir haben wirklich nicht schlecht gestaunt.“

Beiläufig drückt er seine Zigarette im Aschenbecher vor ihm aus, nur um sich gleich wieder eine Neue anzuzünden. Der schwarze Aschenbecher ist schon ziemlich gut mit ausgedrückten Kippenstummeln gefüllt, alle von ihm.

„Nun ja, dann ging es mit den Praxistests los. Zuerst auf Betonplatten und so was... Zielscheiben halt. Und dann haben wir Versuche an Tieren durchgeführt. Das ging immer so weiter und weiter... wir waren halt mehr Affen mit Krawatte und Kugelschreiber. Irgendwann kam dann mal was von einer Nebenstudie auf und ein paar von uns, unter anderem auch ich, haben danach gesucht. Wir fanden heraus das... das man uns deswegen einfach so an diesem Prototypen hat arbeiten lassen, weil man wissen wollte ob es Effekte auf die... Benutzer... dieser Waffe hat.“

Mit der üblichen Bewegung kippt er sich seinen Gin rein und atmet laut aus. Seine Händen zittern leicht während er seine Geschichte weiter erzählt.

„Und JA, es hat Nebeneffekte. Verstrahlung. Mein gesamter Körper ist von Tumoren übersäht, von gerade mal ein paar Jahren Arbeit... ich habe vielleicht noch ein paar Monate, mit etwas Pech.“

Ich weiß nicht ob ich ihm die Story glauben soll oder nicht. Vielleicht ist er einfach nur ein Säufer der sich das alles gerade ausgedacht hat. Viele Leute denken sich Sachen aus, wenn sie gesoffen haben. Auch wenn ich schon viele Geschichten gehört habe, bei einigen ist es doch immer noch schwer die Fiktion von dem zu unterscheiden, was wirklich geschehen ist.

„Heute bin ich... bin ich abgehauen.“, fährt er fort, „Es ist nur eine Frage der Zeit bis die mich abholen.“

„Und dann?“, frage ich.

Eigentlich ist es nur ein Reflex. Momentan gibt es nichts weiter zu tun. Mit lässigen Bewegungen trockne ich ein paar Gläser ab. Warum ihm nicht zuhören?

„Entweder zwingen sie mich zum weiterarbeiten oder sie bringen mich gleich um... so oder so, bald bin ich tot.“

Als wäre das ein Stichwort gewesen schwingt die Tür auf. Zwei Männer in schicken, schwarzen Anzügen, wie man sie von den Gästen meiner Kneipe nicht gewohnt ist, treten ein. Sie haben ungefähr die gleiche Statur, groß und bullig. Solche Leute sieht man normalerweise als Leibwachen. Nur kurz schauen sie sich um, dann gehen sie gezielt auf die Theke zu. Vorsichtshalber lege ich das Glas das ich gerade abtrockne Beiseite und stemme die Hände die Hüften. Im Falle eines Falles kann ich so leichter an meine Kanone kommen, auch wenn ich hoffe das es nicht nötig sein wird.

„Was kann ich für euch tun?“

Ohne ein Wort zu verlieren greifen sie dem Mann, der vor mir an der Theke sitzt unter die Arme und heben ihn hoch. Er wehrt sich nicht. Einer von ihnen greift in die Innentasche seiner Jacke und ich sehe anhand der Art wie er sich bewegt, dass er keine Pistole zieht. Er wirft ein zusammengerolltes Bündel Geldscheine auf den Tresen.

„Sie haben diesen Mann nicht gesehen.“, sagt der Fremde militärisch knapp und gemeinsam schleifen sie den Mann einfach aus der Bar.

Immer noch wehrt er sich nicht. Ohne zu schreien oder zu strampeln lässt er es geschehen. Er hat sein Schicksal akzeptiert... oder er hat aufgegeben. Am Ende läuft es wohl für ihn aufs Selbe hinaus, denn nun glaube ich das was er gesagt hat.

Mein Blick schweift auf die Uhr als sie die Bar verlassen haben. Ich befinde mich in der elften Stunde meiner Schicht und es sind nur noch wenige Gäste da. Direkt am Tresen stehen ein einsames, leeres Glas und ein voller Aschenbecher.

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